Ein Zimmer nur zum Schreiben. Das ist das Thema der Blogparade, die die Autorin Ricarda Howe vor sechs Wochen ausgerufen hat. Wie immer bin ich mit meinem Beitrag spät dran. Heute endet die Blogparade.
Der Grund dafür, dass Ricarda das Schreibzimmer gerade jetzt in ihrem Blog thematisierte, ist ihr eigenes kleines Refugium, das sie vor einigen Wochen in Berlin bezog. Ein kleines möbliertes Zimmer, weitab von Alltagsstörungen durch Partner, Kinder, Haustiere, Zeugen Jehovas, die Berliner Verkehrsbetriebe, Wasseradern, tektonische Plattenverschiebungen und ähnliche störende Einflüsse, reduziert auf das Wesentliche: Schreibtisch, Stromanschluss, Stuhl. Auf Twitter und in ihrem Blog postete sie verlockende Fotos ihrer neuen Errungenschaft. Und sie schrieb, wie positiv sich dadurch ihr Schreibprozess verändert hat.
Und schon hatte sich der sprichwörtliche Floh ins Ohr gesetzt: Ein Schreibzimmer! Über den Dächern von Berlin! Muss ich auch haben! Und wenn schon nicht in Berlin, dann eben in Köln. Ist ja auch was. Mit einem von der Welt isolierten Schreibzimmer kämen Disziplin und Produktivität auch endlich in meinen Schreibprozess! Alle meine Schreibprobleme würden endlich gelöst!
Ich durchkämmte sofort die einschlägigen Anzeigen auf Immobilienscout24.de und erkannte rasch, dass das ein teurer Spaß würde. Vielleicht ein einzelner Arbeitsplatz in einer Bürogemeinschaft? Eigentlich auch unverhältnismäßig teuer. Und überhaupt: Je länger ich nachdenke … Habe ich nicht eigentlich alles, was ich zum Schreiben brauche? Mache ich mir nicht etwas vor, wenn ich glaube, Investitionen schreiben Bücher? Suche ich nicht schon wieder nach Gründen und Ausflüchten, was angeblich dafür verantwortlich ist, dass ich nicht mehr und disziplinierter schreibe?
Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, muss ich das bejahen. Denn die Zeugen Jehovas klingeln bei mir schon lange nicht mehr, und die Kölner Bucht ist weitgehend tektonisch stabil. Auch sonst habe ich keine störenden Einflüsse. Und ich habe jeglichen Platz zum Schreiben, den ich mir wünsche. Ich habe ein gemütliches Wohnzimmer mit einer kleinen Schreibecke und einem eigens dazu angeschafften Sekretär. Wenn ich mich umdrehe, ist dort mein eigenes Schreibzimmer mit Schreibtisch und Bücherwand. Auch im Rest der Wohnung kann ich tun, was ich will. Niemand runzelt die Stirn, wenn ich die Wohnzimmertür mit Tafelfolie beklebe und mit Flüssigkreidestiften Plotideen draufkritzele. Niemand mault über die vielen Bücher, die überall rumliegen (Merke: Wenn es Bücher sind, ist es keine Unordnung!), oder wenn ich schon wieder Notizbücher kaufe.
Woran liegt es also, dass ich so schwer zu Potte komme? Am fehlenden Schreibzimmer jedenfalls nicht. Auch nicht daran, dass ich meine Umgebung nicht gut ausblenden könnte, wenn ich außerhalb meiner vier Wände unterwegs bin. Ich habe schon total produktive Schreibsessions in mit 300 km/h dahin brausenden ICEs, in Biergärten, in überfüllten Cafès und in Irish Pubs, umgeben von hundert betrunkenen Iren und oder Briten, bei 100 Dezibel Rockmusik aus den Boxen hinter mich gebracht. Jetzt gerade sitze ich in Köln auf dem Alter Markt vor dem Corkonian, hinter mir fiedelt eine Studentin auf der Geige, neben mir pickt ein Dutzend Tauben an einem Dönerbrotrest, und ich schreibe seit zwei Stunden mit viel Spaß diesen Artikel bei einem, zwei, drei gepflegten Pint Guinness. Allein: Es passiert zu selten. Also, das Schreiben, nicht das Bier trinken. Würde ich so viel schreiben wie Bier trinken, wäre ich vermutlich einer der produktivsten Autoren der Neuzeit. Aber kaum bin ich zu Hause, lasse ich mich von allen dort vorhandenen Möglichkeiten zur Bequemlichkeit zu leicht hinreißen: Couch, Fernseher, Kühlschrank, Internet, alles verlockt zum Pause machen. Wie schade um die Zeit und die vielen kreativen Gedanken! Es macht mich regelrecht traurig, wenn ich an mein leise weinendes Manuskript denke (schönen Gruß an die wunderbare Madita Kohrt, die mir dieses lyrische Bild in einem Tweet beschert hat).
Einen wichtigen Denkanstoß lieferte mir die Autorin Toni Scott mit ihrem Beitrag zur Blogparade. Sie schreibt in ihrem Beitrag wunderbar poetisch über ihren Garten und ihr Schreibzimmer als Denkräume. Es sei ihr nicht so wichtig, wo sie schreibe, sondern dass sie Denkräume habe und frei von Ablenkung sei. Denkräume. Kreativräume. Können das meine Zauberworte werden? Ricarda Howe schreibt in ihrem Berliner Refugium, Toni Scott in ihrem Garten oder dem Schreibzimmer, letztes Jahr besuchte ich einen Maler in Leipzig, der in einem Keller, der nach allem anderen, aber nicht nach einem Atelier aussieht, seine Bilder malt. Und ich? Letztlich läuft es auf dasselbe hinaus: Ich habe alle Möglichkeiten. Ich muss aus dem Raum, den ich habe, einen Denkraum, einen Kreativraum machen.
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